Kirchgemeinde Groß Pankow-Redlin (Kirche Siggelkow)

Vorschaubild Kirchgemeinde Groß Pankow-Redlin (Kirche Siggelkow)

 

Die Kirchenstühle von Siggelkow

von Dr. Heinz Niemann

 

Das Gestühl unserer Kirche stellt nach meiner Meinung eine besonders gut gelungene Mischung von zweckmäßiger Sachlichkeit und einladender Freundlichkeit dar. Besonders die in festliches Rot gehaltenen Sitzkissen und die im Verborgenen sich redlich mühenden Heizungen  heißen jeden Gast, gleich wo er sich setzen möchte, herzlich willkommen. Dennoch sieht man diesem schlichten Gestühl kaum an, welche historische Errungenschaft es in Wirklichkeit darstellt. Ein Blick in die Geschichte soll dies ein wenig deutlicher machen.

 
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Bis zur Reformation gab es überhaupt keine Sitzmöbel für die Kirchgemeinde. Vorn, zu beiden Seiten des Altars, befanden sich allerdings zwei äußerlich gleiche „Stühle“, die ein geschlossenes, mit Glasfenstern versehenes Stübchen darstellten. Im rechten, also an der Südseite gelegen, nahm der Kirchenpatron mit seiner Familie Platz. Der gegenüber an der Nordseite  gelegene Stuhl war der Beichtstuhl. Er war im Inneren in zwei kleinere Räume geteilt, so dass der Beichtende vom Priester durch eine gitterartige Wand getrennt war.

Diese Anordnung wurde über die Reformation hinaus in unserer Kirche bis zum Neubau eines Altars im Jahre 1816 beibehalten. Ganz trennen mochte man sich aber immer noch nicht von diesen Bauwerken, aber immerhin wurden die Fenster und ein Teil der Wände entfernt, so dass die Stühle „geöffnet“ waren.

Mit dem Übergang zur Reformation (etwa ab 1540) machte sich neben der Errichtung einer Kanzel in der Nähe des Altars auch der Einbau eines allgemeinen Sitzbankgestühls nötig, da nur so die Anhörung der neu eingeführten Predigt ohne Störungen möglich war. Damit waren aber mehr Probleme verbunden, als ursprünglich angenommen, denn der Platzbedarf eines sitzenden Menschen ist mindestens doppelt so groß als der eines stehenden. Immerhin gehörten nach der ältesten erhalten gebliebenen Kirchenvisitation von 1542 zur Siggelkower Kirche auch noch die Dörfer Cummin und Malow sowie eigentlich noch die beiden kleinen Meiereien Zachow und Neuburg, die aber nach Marnitz (!) eingepfarrt waren und für die Kirchgänger aus den beiden Dörfern blieb nur die Möglichkeit, die sonst für die jungen Männer und den Kinderchor vorgesehene Empore an der Westseite des Schiffes zu besetzen. In der Folge wurde diese Empore oder Chor auch als der „Bauernchor“ bezeichnet.

Bereits 1596 gab es aber den ersten Streit. Die Herren von Weisin, die das Gut Malow inne hatten, beanspruchten auch einen besonderen Kirchenstuhl, wie ihn hier bereits der Herr von Koppelow als Adliger und Kirchenpatron besaß. Da ihnen dieser – aus Platzgründen - verwehrt wurde, wechselten die von Weisins eigenmächtig die Kirche und besuchten fortan samt ihrem Gesinde die Marnitzer Kirche, wo ihnen nicht nur ein standesgemäßer Stuhl sondern auch das Erbbegräbnis zugesichert wurde.

Der dreißigjährige Krieg mit seinen verheerenden Bevölkerungsverlusten ließ weiteren Streit über fast 100 Jahre ruhen. Mit der nach 1680 fast zeitgleich einsetzenden Generalinstandsetzung der Kirchen in Groß Pankow und Siggelkow  erneuerten und erweiterten allerdings die Gutsbesitzer von Malow, nunmehr durch den Rittmeister von Ditten, ihre Forderung nach einem eigenen Kirchenstuhl für sich und ihr Gesinde sowohl in der Pankower als auch in der Siggelkower Kirche. Da der damalige Pastor Agricola aus den gleichen Gründen wie sein Vorgänger schon vor einhundert Jahren darauf ablehnend reagierte, war das Band zu den Malowern endgültig zerschnitten und nur die dort wohnenden Freileute, die dem Befehl des Gutsherren nicht unterstanden, hielten der Siggelkower Kirche die Treue.

Die Langzeitwirkungen des dreißigjährigen Krieges und die sich daran anschließenden, noch einmal fast einhundert Jahre währenden, Kriegswirren aller Art hatten aber die gesamte Bevölkerung demoralisiert. Rücksichtslos wurden die Bauern von den Grundbesitzern aus ihren Häusern gejagt und zu sklavenähnlichen „Leibeigenen“  gemacht. Besitz und Stellung waren das Wichtigste und wer nur ein Quäntchen mehr als der Nachbar besaß, dünkte sich ihm überlegen und forderte dafür Unterwürfigkeit ein.

Natürlich machten diese katastrophalen gesellschaftlichen Zerrüttungen keinen Bogen um die Kirche. Sie äußerten sich hier unter anderen in einem ständigen Gerangel um die vermeintlich besten Plätze während des Gottesdienstes, was zur Folge hatte, dass der Pastor mehr oder weniger gezwungen war, zusammen mit dem Kirchenpatron und den Kirchenjuraten eine Rangfolge aller Plätze zu bestimmen und fest zu legen, wer wo das Recht hatte zu sitzen.

Wahrscheinlich schon mit dem Wiederaufbau der Kirche hatte der Kirchenpatron, Hauptmann von Koppelow, die Gelegenheit genutzt und sich an der Südwand einen eigenen kleinen Chor errichten lassen. Hier thronte er nun über allen und da dieses balkonartige Bauwerk außerdem mit einer Christusfigur versehen war, konnte und sollte auch jeder sehen, dass hier ein direkter Abgesandter Gottes saß. Eine ähnlich hohe Meinung zu sich selbst hatte aber auch der Amtshauptmann von Marnitz als höchster herzoglicher Beamter in unserem Amtsbereich. Beide stritten sich viele Jahre ergebnislos um das Recht, hier allein präsentieren zu können.

Dafür schafften es aber die Pächter der beiden herzoglichen Güter in Siggelkow und Zachow (näheres dazu in der Ortschronik von Siggelkow) um 1750, sich ebenfalls einen eigenen Chor auch an der Südseite der Kirche errichten zu lassen. Beide waren keine Edelleute, aber die Formulierung in einem Brief des Pastors Ballhorn an den Landessuperintendenten, dass sie diese …“mit hoher herzoglicher Konversion“ (d.h. Zustimmung) erbaut hätten, lässt ahnen, dass diese ganze Sache wohl den ewigen Zänkereien des Herzogs mit der aufmüpfigen Ritterschaft entsprungen war.

Auch der Gutsbesitzer von Cummin, ein Hauptmann Henning von Bülow, hatte inzwischen einen eigenen Kirchenstuhl erhalten, weil die Herren von Koppelow 1752 ihr Patronatsrecht an den Landesfürsten zurückgegeben hatten und damit der Stuhl des Kirchenpatrons frei geworden war.. Immerhin hatte sich die Kirchgängerzahl von seinem Gut im Jahre 1751 – ohne das Vorwerk Tessenow – auf insgesamt 92 Leute erhöht, von denen der größte Teil auf dem „Bauern“- oder „Mühlenberger“ Chor Platz finden musste.

Als schließlich noch im Jahre 1771 die Parchimer Kämmerei mit Zustimmung des Herzogs die Siggelkower aufforderte, den etwa 12 – 15 Neuburger Kirchgängern ebenfalls noch einen Platz in der Kirche zu verschaffen, gab dafür der Innenraum der Kirche einfach keinen weiteren Platz mehr her. Man half sich dadurch, dass man die Innenaufgänge zu den einzelnen Chören abbrach und durch einen gemeinsamen Außenaufgang zu dem neuen „Neuburger“ Chor, der auch eine Verbindung zum „Mühlenberger“ Chor besaß, ersetzte.

 
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Außenaufgang zum ehemaligen "Neuburger Chor"


Fast war nun die gesamte Südwand mit diesen Bauwerken besetzt. Ihre Spuren sind heute noch daran zu erkennen, dass an dieser Seite ein Teil der Balkenversteifungen fehlen, die sonst den Verbindungsweg zwischen den Bauwerken versperrt hätten.

Nicht weniger lebhaft war es unten im Kirchenschiff zugegangen. Generell hatte man die aus vorreformatorischer Zeit stammende Trennung der Plätze nach dem Geschlecht beibehalten. Rechts saßen die Frauen, links die Männer. Sodann gebührten den Kirchenjuraten, dem Schulzen, dem Zöllner und Krüger, den Hauswirten (Bauern) und den Tagelöhnern besondere Plätze, wobei man wenigstens dadurch eine gewisse Vereinfachung ermöglichte, dass ein solcher Platz für das Familienoberhaupt und seine Frau, die Altenteilsleute und das zugehörige Gesinde, natürlich in der Trennung nach den beiden Geschlechterseiten, galt.

Wie schnell hier etwas durcheinander gehen konnte, mag folgender Vorfall belegen:

In einem Brief vom 7.11.1770 an den Landessuperintendenten teilt Pastor Ballhorn mit, dass der Frau des Hauswirtes Kahlen aus Siggelkow (spätere Redlinsche Stelle) das weitere Betreten ihres Kirchenstuhles vom Amtsschreiber aus Marnitz verboten worden sei. Sollte sie sich unterstehen, dieses fernerhin dennoch zu tun, bekäme sie eine Prügel von 10 Hieben!

Was war geschehen?

1769 war der langjährige Schulze Jochim Reddelin gestorben. Ein Jahr später heiratete seine Witwe den Hauswirt Friedrich Kahl, der zu ihr auf den ehemaligen Schulzenhof gezogen war. Neuer Schulze wurde aber Christoph Pleß aus Herzberg, nachdem er in Siggelkow den Hof von Jochen Plähn, dem Älteren (spätere Zachow/Diercks Stelle) übernommen hatte. Das bedeutete, dass Pleß, sobald er Schulze geworden war, nicht mehr den Manns-Stuhl, der zu Plähnens Hof gehörte, betrat, sondern den frei gewordenen Schulzenstuhl einnahm. Den eigentlich ebenfalls frei gewordenen Frauenstuhl des Schulzen nahm aber nach wie vor die ehemalige Witwe, die jetzige Frau Kahl ein. Pleß hatte diesen Stuhl nicht eingefordert, vermutlich weil er ganz hinten in der Kirche stand, anstelle dessen sollte seine Frau aber von dem ehemaligen Plähnschen Frauenstuhl auf den Frauenstuhl des Hauswirtes Lüdemann (spätere Wahls-Stelle) vorrücken, weil dieser den Rangplatz eins der Amtsuntertanen besaß.

Nach längeren Auseinandersetzungen, in die als Schlichter auch der Parchimer Landessuperintendent einbezogen worden war, unterbreitete Pastor Ballhorn folgenden Vergleich: „Die Pleßsche sollte zufrieden sein, wenn sie den alten Schulzenstuhl, ob er gleich hinten in der Kirche ist, erhielte; dahingegen aber auch Kahlsche nichts einzuwenden haben könnte, wenn sie statt des quittierten Schulzen-Stuhles einen Plähnen-Stuhl wieder obliierte (bekäme Nie) ,um so weniger, weil sie alsdann den 2.ten Platz in dem 1.ten Frauenstuhl, dem der erste Platz in diesem Stuhl gehört, wie vorgedacht an Lüdemanns Hof wieder bekäme“.

Wie wir weiter oben erfahren haben, drohte bei Nichtanerkennung dieses Vergleichs die Zuchtrute des Amtsschreibers aus Marnitz. Wir können nur nachträglich wünschen, dass damals die Kahlsche ihre Platzanweisung mit dem 2.ten Platz in dem 1.ten Stuhl richtig verstanden hat und so weiterem Ungemach aus dem Wege gegangen ist.

Wenn man nun annimmt, dass sich mit der Neuzeit der Streit um die Kirchenstühle automatisch erledigt hat, der irrt! Wir wollen dies an einem Beispiel, zu dem es sogar einen fotografischen Beleg gibt, illustrieren.

Am 3.Juli 1816 wandten sich die Hauswirte Joachim Harm und Christopher Pleß an den Herzog als den Obersten Kirchenpatron mit folgender Bitte: „Da in der hiesigen Kirche Altar, Kanzel und Beichtstuhl neu gebauet werden, so haben wie beide,……, uns entschlossen, zu Gottes Ehre und der Kirche Zierde, den Altar mit einer neuen … Decke von rothem Tuche zu bekleiden, dagegen aber wünschen wir, uns auch auf unsere Kosten ein kleines Chor in dieser Kirche für uns und die Unsrigen bauen zu dürfen.

Keinem war bei diesem Antrag so recht wohl, da völlig klar war, dass sich mit diesem Vorhaben die Spannungen zwischen der Bauernschaft weiter verschärfen könnten.  Der damalige Pastor Hoffmann wies sogar warnend darauf hin, dass mit solcherlei Vorhaben der Sinn des Gottesdienstes in den Hintergrund treten könnte, allein er wurde überstimmt; nicht zuletzt auch deshalb weil der damalige Kirchenjurat auch Schulze und genau der Pleß war, der den Antrag auf das Bauvorhaben mit gestellt hatte. Mit dem Vermerk, dass weder Pastor noch Kirchenjurat Einwände gegen das Projekt vorgebracht hätten, stimmte so der Herzog bereits am 2.August diesem keineswegs üblichen Bauantrag zu.

Wie nicht anders zu erwarten, löste das hoch über der Gemeinde thronende Duo der beiden Hauswirte heftigen Unwillen in der Bauernschaft des Dorfes aus. Ebenso turbulent ging es aber auch auf dem kleinen Balkon zu, denn nunmehr wollte jeder das Alleinpräsentationsrecht für sich in Anspruch nehmen. Nach dem Abtreten der beiden Kontrahenten im Jahre 1865 gab es sogar drei neue Anwärter, nämlich neben den Söhnen der ehemaligen Antragsteller nunmehr auch den Hauswirt Brinkmann, dessen Vater oder Großvater den Chor gebaut hatte.

Klugerweise entschied damals das Amt Lübz, dass  keiner der Nachfolger einen Anspruch auf den Chor habe, da das Nutzungsrecht mit dem Tode der ersten Antragsteller erloschen und das Nutzungsrecht damit an die Kirche übergegangen sei. Allen drei wurde aber erlaubt, den Chor im gegenseitigen Einvernehmen zu nutzen. So dümpelte nun die unattraktiv gewordene Nutzung vor sich hin, allmählich war der Außenaufgang so verfallen, dass der Chor von innen bestiegen werden musste und die ganze Sache langsam zu einem allgemeinen Ärgernis wurde.

Schließlich wurde anlässlich der Pfarrkonferenz von 1920, auf der auch alle anstehenden Baumaßnahmen beraten wurden, den beiden übrig gebliebenen Nutzern Pleß und Brinkmann aufgegeben, die Außentreppe zu dem Chor umgehend und auf eigene Kosten wieder in Ordnung zu bringen. Da Brinkmann inzwischen auch schon Rentner geworden war (er bewohnte jetzt die Villa am Kreuzdamm), übernahm Pleß die Reparatur und forderte allerdings im Gegenzug dazu völlig überraschend wieder die Alleinnutzung. Wahrscheinlich wäre dem mit einem Achselzucken stattgegeben worden, wenn nicht – ebenso so überraschend – Brinkmann geltend gemacht hatte, dass er damit gar keinen Platz mehr in der Kirche hätte, da er als ehemaliger Hofbesitzer in der jetzigen Häuslerreihe nicht Platz nehmen könne. Dieses Argument war so schwerwiegend, dass ihm daraufhin mit der fragwürdigen Begründung, immerhin hätten seine Vorfahren den Chor erbaut und damit sei dieser Familieneigentum, das alleinige Nutzungsrecht zugesprochen. Mit der Bezahlung der Reparaturkosten für die Treppe an Pleß in Höhe von 82 RM sei diese Übereignung rechtswirksam.

Damit hatte sich der Kreis beim letzten und fragwürdigsten Kirchenstuhl in unserer Kirche auf eine seltsam symbolische Art und Weise geschlossen. Von dem ehrgeizigen Vorhaben, als Mächtige und Reiche über allen zu thronen, war am Ende ein einsamer und ausgegrenzter Mann übrig geblieben, der die Sünden seiner Vorfahren abzutragen hatte.

Übrigens: Auf dem ältesten Bild unserer Kirche von etwa 1910 ist ganz rechts die frei stehende hölzerne Treppe neben dem überbauten Aufgang zum „Bauernchor“ noch gut zu erkennen.

 
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P.S. Seit dem 5.6.2016 erstrahlt unsere Kirche innen wie außen in neuen Farben. Sie wurde mit Hilfe sehr vieler Frauen, Männer und Kinder saniert. Mit einem Festgottesdienst und einem festlichen Kirchenfest waren alle am 1. Junisonntag 2016 zusammen. Es war ein schöner Tag. Und die Kirche steht nun wieder auf sicherem Grund, wirkt in ihrer schlichten Eleganz einladend und ist ein Schmuckstück für ganz Siggelkow. (Pastorin U. Kloss)

 

 


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